Mond-Tage
Leaden hasste Mond-Tage. Das sanfte Glühen der runden Himmelsscheibe traf idyllisch auf die Blühten und Büsche des Waldbodens. Aber das Licht irritierte seine Augen. Runde Wassertropfen perlten von den Blättern der Dornbüsche und tropften für die aufmerksamsten Zuhörer in rhythmischen Klängen auf den Boden. Doch die erhöhte Feuchtigkeit verschrumpelte seine Haut und brachte seine Knie zu schmerzen. Zahlreiche Mondkäfer trugen, begleitet von beruhigendem Summen, sauber gesammelte Dungkügelchen zu ihren Nestern. Das Flattern ihrer Flügel nervte ihn zu Tode.
Das Schlimmste an den Mond-Tagen aber war, dass Leaden zurück an die Arbeit musste. Die hasste er nämlich noch mehr als die Mond-Tage selbst.
»Stell dich nicht so an, Leaden«, hörte er die Stimme seiner Mutter in seinem Kopf. »Es gibt Menschen, die haben es viel schlimmer als du. Ein Dach über dem Kopf, eine Arbeit, die genügend Rupien nach Hause bringt, was willst du mehr?«
Leaden verpasste dem Dornenbusch vor ihm einen kräftigen Tritt mit dem Stiefel, was das arme Pflänzchen glatt entwurzelte, dann kämpfte er sich weiter durch das Dickicht.
»Was willst du mehr«, flüsterte er in die Nacht und äffte dabei den Tonfall seiner Mutter nach. Leaden wollte mehr, soviel stand fest.
Ein Rascheln hinter dem Stamm einer massiven Eiche brachte ihn zu einer Kursänderung, direkt auf das Geräusch zu. Resigniert stieß er Luft zwischen seinen Lippen aus. Viel länger konnte er seine Arbeit nicht mehr aufschieben.
»Hätte ich doch nur Aleas Angebot angenommen«, dachte Leaden und verpasste sich gedanklich selbst einen Tritt in den Hintern. Morgens, noch vor dem Aufgehen der Sonne, aufzustehen, um Brot zu backen und es anschließend in der Bäckerei zu verkaufen, klang gerade viel verlockender als in der Nacht eines Mond-Tages im feuchten Dickicht herumzustampfen.
Wieder trieb ein Geräusch an Leadens Ohren. Dieses Mal klang es wie das Zerspringen einer Harfensaite.
»Na toll«, dachte er, »dieser Schrei…das muss ein…«
Bevor er den Gedanken zu Ende führen konnte, wichen die hohen Fichten und Eichen einer kleinen Waldlichtung. Der Mondschein spiegelte sich in dem murmelnden Bach und erhellte die Gräser am Ufer. Ein Mund mit gigantischen Zähnen riss diese soeben mit samt den Wurzeln aus dem Boden und verschlang sie in einem Stück. Der Mund gehörte zu einem von vier haarigen Köpfen, die allesamt aus einem stämmigen und ebenso haarigen Körper sprossen. Passend zu den vier katzenähnlichen Köpfen und acht Augenpaaren, besaß das Geschöpf acht Beine, die entfernt an die von Pferden erinnerten.
Ein Gathodren!
Beinahe hätte Leaden kehrt gemacht. Der Papierkram, der ihm nach der Erledigung eines solchen Auftrags blühte, jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Aber sein Pflichtgefühl zwang ihn zum Bleiben; sein Pflichtgefühl und der noch größere bürokratische Aufwand, der bei Nichterledigung eines Auftrags anstand.
Ruhig fühlte er nach dem kalten Griff seines Schwerts. Es hing schwer auf seinem Rücken und erinnerte ihn stets an die Last seiner Arbeit. Er trat auf die Lichtung und zog es aus der Scheide.
Metzger, das wäre doch ein spannender Beruf.
Mit einem Ausfallschritt wirbelte er auf den Gathodren zu. Das Geschöpf schrie erneut in die Nacht hinein. Alle vier Köpfe bleckten die Zähne, zum Angriff bereit.
Mit scharfen Geräten kann ich bereits umgehen und das wäre zumindest etwas Sinnvolles. Die Leute brauchen schließlich etwas zu essen…
Leaden entging der Attacke des Geschöpfs mit einer Hechtrolle und schwang sein Schwert auf die vielen Beine zu.
Oder Botaniker? Pflanzen sind ziemlich spannend…und ruhig.
Der Gathodren gab einen ohrenbetäubenden Laut von sich, als Leadens Schwert glatt durch dessen haarige Haut schnitt.
Holzfäller! Kraft habe ich genug und eine Axt unterscheidet sich bestimmt kaum von einem Schwert. Und Feuerholz wird es auch in vielen Jahren noch brauchen.
Blitzschnell hastete Leaden aus dem Weg, als das Geschöpf nach vorne zusammenbrach. Die verletzten Beine konnten das enorme Gewicht des Oberkörpers nicht mehr tragen. Mit einem Platschen landeten drei der vier Köpfe im kleinen Bach.
Und sonst werde ich einfach zu einem Wasserträger. Lieber den lieben langen Tag Wasser schleppen, statt…
Wasser drang in Leadens Stiefel. Leise fluchte er und rammte sein Schwert beiläufig in die Augen der Kreatur. Die einzige Möglichkeit einen Gathodren zu töten, bestand darin, ihn zu erblinden. Das hatte zumindest sein Professor an der Universität der Monsterjäger behauptet und er hatte nie einen Anlass gefunden, an dessen Worten zu zweifeln.
Die Kreatur gab ein letztes Röcheln von sich, dann erschlaffte sie. Gleichmütig strich Leaden sein Schwert am haarigen Rücken ab und steckte es zurück in die Scheide.
Wieder ein Auftrag erledigt. Jeden Mond-Tag war es das Gleiche. Resigniert ließ er den Gathodren hinter sich und machte sich auf den Weg zurück in die Stadt, schließlich musste er noch den Rapport ausfüllen.
»Morgen schreibe ich die Kündigung«, nahm er sich fest vor.
Zum dritten Mal in diesem Monat.